Entwurf Theatervorhang
Es ist nicht ungewöhnlich, dass Künstler auch Werke angewandter Kunst herstellen, oft lassen sich Design und Kunst nicht klar voneinander trennen. Denn Handschrift, Formcharakteristika, Stil sind flexibel einsetzbar, es hängt von der Anpassungsfähigkeit des Künstlers ab, wie weit die Übertragungen vom einen ins andere Metier gehen. Und Andreas Felger ist ein Virtuose in der Arbeit an solchen Übergängen. Das hat mit seiner Herkunft als Gestalter in der textilverarbeitenden Industrie in der Mössinger PAUSA ebenso zu tun wie mit seiner Experimentierfreudigkeit, wenn es um die Erweiterung seiner künstlerischen Möglichkeiten zwischen Bild, Skulptur und Raumgestaltung geht. Dass dieses Experimentieren schließlich bis in seine Konzepte für rein künstlerische Arbeiten hineinreicht, zeigt seine Serie von fünf Wegmarken von 2020, Skulpturen, die im Mössinger Stadtraum zur Aufstellung kamen (vgl. das Werk des Quartals 03.2022). Durch die Montage zweier ‚Bild‘-Flächen mit räumlichem Abstand, werden die Bilder dreidimensional und erscheinen als Synthese von (Ober-)Fläche und Skulptur.
In diesem Kontext sehe ich auch Andreas Felgers Theatervorhang (11 x 22 m), der räumlich erscheint, insofern Vorder- und Rückseite gleichwertig (und sehr unterschiedlich) bearbeitet sind und auch, weil ein Vorhang in Falten, besser vielleicht in Wellen fällt und damit den Raum stärker ins Werk einbezieht als ein plan aufgespannter Stoff. Darüber hinaus fungiert ein Theatervorhang, auch ein Raumteiler, auf der Grenze zwischen Darstellern und Publikum und zugleich als Bühnen-Bild, dessen Rahmung aus dem vorderen Abschluss der Bühne besteht. Diese Merkmale und Bild-Konzeption fügen sich so schlüssig in das Felgersche Gesamtwerk ein, dass sich Idee und Gelegenheit dafür eigentlich schon früher hätten ergeben können. Aber oft muss mehreres zusammenkommen, damit etwas entsteht; in diesem Fall bedurfte es eines Auftrags, um die Realisation zu ermöglichen.
Marcel Kohler (*1991), der sich als Schauspieler, Regisseur und Bühnenbildner in Deutschland von Berlin aus einen Namen gemacht hat, war der Initiator dieses Projekts und wird es in seinen Inszenierungen fortsetzen. Anlass für den Auftrag, den man auch als Kooperation zwischen Künstler-Generationen auffassen kann, war auch die Würdigung des Felgers zu seinem 90. Geburtstag. Mit den Worten von Marcel Kohler:
„Ich bin überzeugt, dass das Format eines Bühnenvorhangs die Kunst von Andreas Felger in ungewöhnlicher und besonderer Weise anlässlich seines 90. Geburtstags feiern kann. Stoff als Material und eine Größe von vielen Quadratmetern gibt Andreas Felger die Möglichkeit, ein sowohl in seinem Œuvre als auch in der Theaterlandschaft singuläres Werk zu schaffen, das sein Spätwerk mit seinen künstlerischen Ursprüngen vereint.“
Text von Marvin Altner
Marvin Altner ist promovierter Kunsthistoriker und Dozent für Kunstwissenschaft an der Universität Kassel. Nach einem Volontariat an der Hamburger Kunsthalle war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Kurator an Berliner und Hamburger Museen sowie als freischaffender Autor im Bereich der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart tätig. Seit 2012 lehrt er an der Kunsthochschule Kassel im Studiengang Kunstwissenschaft und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Andreas Felger Kulturstiftung, unter anderem als Autor, Ausstellungskoordinator und Betreuer der Datenbank der Werke von Andreas Felger.